Mittwoch, 7. September 2011

Ent- und Verwicklungen

Ich bin noch nicht mal eine Woche hier und hab schon so viel gelernt! Ich habe gelernt, dass es auch Jugendliche gibt, die Courage haben. Ich habe gelernt, wie man eine Tür ohne Klinke öffnet und ich hab gelernt, wie es sich anhört, wenn eine Sprache vergewaltigt wird.
Nach meinem ersten richtigen Schultag war ich ziemlich fertig. Ich war die ganze Zeit müde und bin eingeschlafen, in Deutsch, in SES, in ECJS. Zum Glück sind die Lehrer hier so verblendet, dass keiner was bemerkt hat.
An diesem Tag habe ich den Ex von Elise kennengelernt. Im Bus hab ich die beiden beobachtet und hab mich gefragt, wer mit wem Schluss gemacht hat. Aber da war dieser Faktor X der meine Überlgungen immer wieder in eine Sackgasse geführt hat. Erst später habe ich dann die ganze Geschichte erfahren. Es hat mich verblüfft, wie bereitwillig und offenherzig mir Mr. Ex sein Privatleben vorgelegt hat. Er ist schwul. Da ist er sich sicher. Und er steht dazu. Nicht nur so fürs schlechte Gewissen, nein, er sagt es auch allen. Ich finde es schön zu wissen, dass die Homosexualität auch in unserem Alter ihren Platz findet und offensichtlich von allen akzeptiert wird.
Und schließlich, nach diesem verwirrenden Tag und endlich zu Hause angkommen, hatte ich dann auch noch das Vergnügen, mich dem Kampf mit meinen Büchern zu widmen. Ich weiß nicht wieso, aber ich hatte leicht das Gefühl, dass Bücher und Umschlagfolie nicht füreinander geschaffen sind.
Völlig am Ende bin ich dann in mein Zimmer gegangen und hab die Tür mit einem lauten Knall hinter mir zugezogen.
Aber Moment...war da nicht noch irgendwas?
Genau! Die Tür hat keine Klinke! Ich hatte mich in meinem eigenen Zimmer eingeschlossen. Ich habe sogar versucht, aus dem Fenster zu kletter, aber da war ein Gitter drüber. Müde, wie ich war, gab ich mich dann meinem Schicksal hin und ging ins Bett.
Am nächsten Morgen entdeckte ich dann meine mechanischen Fähigkeiten. Dank, der durch den Stress erhöhten, Denkleistung meines Gehirns, kam ich auf die geniale Idee irgendwas in das Loch zu stecken. Der Schlüssel war gut geeignet und nach ein paar Anläufen, schaffte ich es, meinem Verlies zu entfliehen. Das wäre ja alles schön und gut gewesen und keiner hätte was gemerkt, aber ich hatte gestern Abend noch eine verzweifelte Nachricht auf Karines Anrufbeantworter zurückgelassen. Die Arme.
Aber im Großen und Ganzen war der Tag doch besser, obwohl ich die Milch heute früh verschüttet habe. Wir hatten nur bis Mittag Unterricht und außerdem war ich auch nicht so müde.
Gut, wirklich spannendes passiert hier nicht, aber ich habe wie immer einen Drang mich allen mitzuteilen.
Andere Laster aber, beginne ich abzulegen. Und ich merke, wie sich meine Sicht auf die Dinge verändert. Ich kann viele Dinge distanzierter betrachten und komme immer öfter zu Ergebnissen, die mich zufrieden stellen. Das war früher nie so. Ich war immer unsicher, was meine Entscheidungen betraf, aber jetzt. Außerdem gelingt es mir jetzt, mich in andere Leute hineinzuversetzen. Das passiert jetzt ganz automatisch und hat auch was mit dieser Distanziertheit zu tun. Wohl am ehesten eine Distanz von mir selbst, eine äußere Sicht auf mich selbst, die mich mein eigenes Handeln bewerten lässt.
Ich habe im Unterricht eindeutig zu viel Zeit, um über mich selber nachzudenken, Aber was soll man auch machen, im Englischunterricht, den keiner außer dir selbst versteht. Du musst einfach abschlaten, sonst nimmt man sich das zu sehr zu Herzen. Es klingt vielleicht ein wenig übertrieben und eingebildet, aber es ist einfach schrecklich, wenn meine Mitschüler englisch sprechen. Am liebsten würde ich mir an den Haaren ziehen und meinen Kopf auf den Tisch schlagen. Ich könnte heulen über das, was sie der schönen englischen Sprache antun.
Da ist es doch wirklich besser, sich in seine Phantasie zu flüchten und sich die schönsten Liebesgeschichten auszumalen, wie es hoffnugslos romantische, dumme Mädchen nun mal tun.

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